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Der Bauplan der Materie – auf der Suche nach dem Higgs


Wie erhalten Teilchen ihre Masse?

Dass Teilchen eine Masse haben bzw. Materie eine Masse hat, ist natĂŒrlich unbestritten, doch mĂŒsste eine hinreichend vollstĂ€ndige Theorie zum Aufbau der Materie einen Mechanismus beschreiben, wie Teilchen ihre Masse erhalten bzw. warum denn die Teilchenmassen so unterschiedlich ausfallen.
Das Standard-Modell liefert so einen Mechanismus ĂŒber einen Ansatz, der als „spontane Symmetriebrechung“ bezeichnet wird und vom britischen Physiker Peter Ware Higgs vorgeschlagen wurde. Der Vorgang der spontanen Symmetriebrechung war vor Higgs schon lĂ€nger in der Festkörperphysik bekannt. Die Anwendung im Standard-Modell wird als der sog. „Higgs-Mechanismus“ bezeichnet. Der Higgs-Mechanismus „rettet“ das Standard-Modell dadurch, dass er die formale Struktur des Modells und die zugrunde liegenden Formeln nicht modifiziert. Der Higgs-Mechanismus ergĂ€nzt das Standard-Modell in einem gewissen Sinne, ohne dass eine Korrektur des Modells notwendig wĂ€re.
Im Formalismus des Standard-Modells werden, wie in jeder Quantenfeldtheorie, Teilchen oder genauer gesagt TeilchenzustÀnde durch Wellen bzw. Wellenfunktionen.

Spontane Symmetriebrechung

Zu jeder Energie E eines Teilchenzustands passt mindestens eine Wellenfunktion. Existieren mehr als eine Wellenfunktion zu einer Energie, spricht man von der sog. Entartung der TeilchenzustĂ€nde. Genaugenommen existieren bei einer Entartung zu einem Energiewert beliebig viele, also unendlich viele mögliche Wellenfunktionen, die den Teilchenzustand beschreiben können. Welcher von diesen ZustĂ€nden tatsĂ€chlich fĂŒr das Teilchen real wird, ist im Prinzip nicht vorhersagbar.
Ein weiteres PhÀnomen, welches bei der Konzeption des Higgs-Mechanismus zum Tragen kommt, ist die Tatsache, dass jedweder stabile Zustand in der Natur derart ist, dass die mit dem Zustand korrespondierende Energie minimal ist.
Beispielsweise ist ein Proton, bestehend aus drei Quarks, stabil. Die Gesamtenergie der drei gebundenen Quarks ist dann die kleinstmögliche, also minimal. Bei einem nicht stabilen Protonenzustand wĂ€ren die Quarks in einem höherenergetischeren Zustand und wĂŒrden spontan, also von selbst, in den Grundzustand mit niedrigster Energie zurĂŒckkehren.
Im Standard-Modell muss ein Teilchengrundzustand nicht notwendigerweise die Energie gleich Null besitzen. Es kann auch GrundzustÀnde geben, deren Energie kleiner als Null ist. Ein solches Verhalten wÀre in der nicht quantenmechanischen klassischen Physik nicht erklÀrbar. Dort ist die kleinstmögliche Energie immer gleich Null, bzw. negative Energien gibt es dort nicht.

Beim Higgs-Mechanismus ist es tatsĂ€chlich so, dass die Teilchen des Standard-Modells spontan in einen Grundzustand mit negativer Energie ĂŒbergehen können.
Dieser Grundzustand ist entartet, d. h., einem Teilchen stehen vor dem Übergang quasi unendlich viele mögliche ZustĂ€nde zu der Grundzustandsenergie Emin < 0 zur VerfĂŒgung.
Die Besonderheit ist die, dass alle anderen TeilchenzustĂ€nde fĂŒr E > 0 nicht entartet sind und eine genau bestimmte Symmetrie besitzen.
Findet ein Übergang von einem nicht entarteten Zustand in einen der entarteten GrundzustĂ€nde mit anderer Symmetrie statt, wird, so sagt man, die Symmetrie gebrochen, und der Vorgang findet spontan statt.
Im Standard-Modell bedeutet diese spontane Symmetriebrechung, dass ein neues Teilchen, das sog. Higgs-Teilchen, existieren muss.
Im Grundzustand stehen dann alle Teilchen mit dem Higgs-Teilchen in einer Verbindung.
Durch diese Verbindung werden die Teilchen trĂ€ger, d. h., durch die Verbindung mit dem Higgs-Teilchen, welches in diesem Zusammenhang auch als Higgs-Feld bezeichnet wird, verhalten sich die Teilchen etwa so, als wĂŒrden sie durch eine zĂ€hflĂŒssige FlĂŒssigkeit fliegen und so behĂ€biger bzw. trĂ€ger werden. So entsteht der Eindruck, die Teilchen haben eine Masse. Diese Masse macht sich aber nicht nur bei der Bewegung der Teilchen bemerkbar, sondern die Teilchen erhalten so tatsĂ€chlich ihre Ruhemasse.
Die unterschiedlichen Massen der Teilchen resultieren dann aus der unterschiedlichen StÀrke der Kopplung an das Higgs-Feld.
Die Vorstellungen zum Higgs-Feld gehen nun dahin, dass im gesamten Universum ein solcher Grundzustand fĂŒr alle Teilchen existiert, so dass diese an das Higgs-Feld koppeln. D. h. auch im absoluten Vakuum befindet sich ein einzelnes Teilchen ja in einem Grundzustand. Somit sollte man sich das Higgs-Feld quasi als allgegenwĂ€rtig vorstellen, so dass keine Materie eine Kopplung an das Feld vermeiden kann.

Zugegebenermaßen ist dies wohl eher eine esoterisch anmutende Interpretation der Natur, die mangels Anschaulichkeit nicht gerade das Vertrauen in den Higgs-Mechanismus bestĂ€rkt.
Nichtsdestotrotz steht und fÀllt das Standard-Modell mit der Existenz oder Nicht-Existenz des Higgs-Feldes bzw. des Higgs-Teilchens.
WĂ€re das Standard-Modell in diesem Punkt ungĂŒltig, verliert es aufgrund seiner unvollstĂ€ndigen Beschreibung der Natur der Materie an Bedeutung und mĂŒsste zwingend durch eine andere Theorie ersetzt werden. Eines der Hauptargumente fĂŒr die Entwicklung und Inbetriebnahme des zur Zeit grĂ¶ĂŸten Teilchenbeschleunigers der Welt, dem
LHC, ist der mögliche Nachweis des Higgs-Teilchens, oder nach neueren Theorien, der (mindestens fĂŒnf) Higgs-Teilchen.

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